Es ist Donnerstag, der 09.06.2022, wir haben es nicht eilig, denn es regnet noch immer. Bis zur Grenze sind es noch ungefähr 50 km und wir haben gehört, dass man bestimmte Lebensmittel nicht mit nach Kanada bringen darf. Deshalb opfert sich Seb‘ und isst 4 Eier zum Frühstück. Auch die Milchprodukte und Früchte haben wir aufgegessen, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten. Wir sind sogar extra noch zu einer „Dump Station“ bei einem Wohnmobilhändler gefahren, um unser Grauwasser abzulassen. Die Pässe liegen bereit, um an der Grenze gewappnet zu sein. Kanada wir kommen!
Wir fahren durch Buffalo, eine unschöne Stadt wie ich finde und ich frage mich, ob die furchtbar schlechten Straßen irgendwie auf die Niagarafälle zurück zu führen sind oder einfach nur auf den vielen Verkehr und zu wenig Instandsetzungsinvestitionen. Als wir der Grenzbrücke näher kommen, sieht man schon von weitem die Gischt der Wasserfälle – ich finde das jetzt schon beeindruckend. Zu diesem Zeitpunkt gehe ich noch davon aus, dass die Grenzaktion eine längere Sache werden wird. Schließlich ist die „Rainbow Bridge“ (Grenze), in unmittelbarer Nähe zu den Niagarafällen. Aber das Wetter spielte uns in dem Fall wahrscheinlich in die Karten. Die höchstens 10 Minuten die wir auf der Brücke verbringen, sind wir damit beschäftigt die Aussicht zu bestaunen.
Da wartet man doch gern! Es sind allerdings nicht so sehr viele „Grenzgänger“ vor uns.
Als wir zu den Grenzhäuschen vorrücken sehen wir ein wegweisendes Schild für Wohnmobile. Das einzige vor uns befindliche „RV“ folgt der Beschilderung links um das Gebäude und wir folgen eben diesem. Wir parken auf der eingezeichneten Parkfläche, machen den Motor aus und harren der Dinge, die da kommen. Ich nutze die Chance und und lausche auf dem stillen Örtchen, als der Grenzbeamte Sebastian fragt was wir in Kanada wollen und wie lange wir bleiben, unsere beiden Pässe einsammelt und uns ums Gebäude rumschickt. Wir folgen der Anweisung und warten keine 5 Minuten bis der Beamte erneut zum Bus kommt. Er sieht mich da zum ersten mal und fragt mich lediglich, ob ich Sandra (deren Pass er in der Hand hält) bin, ich bejahe das. Als er einen Blick in den Bus wirft, löse ich die Bremsen meines Rollstuhls um ihn reinzulassen, aber er sagt sofort, nein, nein, nicht nötig: "You are all set!" (Ihr seid fertig)
Wir bedanken uns und können unser Glück kaum fassen… sind aber ehrlich gesagt auch etwas perplex. Keine Fragen zu irgendwas, keine Kontrolle des Busses, Lennox‘ Anwesenheit ist noch nicht einmal bemerkt worden. Wir hätten 10 Mexikaner und was weiß ich noch alles einschmuggeln können. Ich frage mich mal wieder warum der ganze Papierkram überhaupt nötig ist, wenn sowieso nichts, aber auch nichts kontrolliert wird. Aber ich bin froh, dass alles so "easy" war.
Eigentlich will ich erst morgen zu den Wasserfällen, wenn das Wetter besser ist, aber jetzt sind wir schon mal da, ich bin neugierig und es hat schon etwas aufgeklart. Wir parken den Bus. Es sind max. 10 Minuten bis zu den Fällen. Ich hatte ehrlich gesagt mit mehr Menschenmassen gerechnet und an einem richtig sonnigen Tag würde ich als Rollifahrer wahrscheinlich kaum einen Blick auf die berauschende Szenerie erhaschen können. Aber ich hab Glück, ich kann den ganzen Weg bis zu den Fällen über das Mäuerchen bzw. durch das offene Geländer das fließende Gewässer strömen sehen, bis da wo es letztendlich sturzflutartig in den freien Fall übergeht. Ich bin baff… die Wassermassen und die Naturgewalt beeindrucken mich immens. Aber ich bin noch nicht ganz zufrieden, der Blickwinkel gefällt mir noch nicht. Ich möchte das ganze im Stehen sehen und ich will mindestens ein tolles Foto von mir STEHEND an den Niagarafällen. In weiser Voraussicht hab ich meine Orthesen (Beinschienen) im Bus schon angezogen. Seb‘ ist vorgewarnt und muss mir auf die Beine helfen, denn ich hab weder Rollator noch Krücken dabei. Es ist ein „Akt“, hab ich doch schon seit einigen Tagen nicht mehr gestanden… aber es gelingt und ich bin „over the top“ stolz und glücklich, als ich am Geländer stehe und das ganze Spektakel in voller Pracht bewundern kann. Lennox ist wohl auch neugierig und lässt sich nicht lange bitten, er springt aufs Mäuerchen und genießt den Wassernebel der um uns rum ist. Eine kleine Abkühlung tut doch immer gut!
Die Mission „Niagara Fälle“ ist somit erfolgreich abgeschlossen. ✅️ Die 25 Dollar (18,40 €) Parkgebühren für 2 Stunden waren es absolut wert. 🤑
Planlos setzen wir unsere Busreise fort… ohne bestimmtes Ziel vor Augen, aber immer am Lake Erie entlang. Als wir das Schild „Skydive Burnaby“ (Ontario) an der Straße entdecken, können wir nicht anders als diesem Folge zu leisten. Wo ein Sprungplatz, da viel Platz zum Parken und außerdem (fast) immer gute Leute! Als wir an der kleinen unscheinbaren Dropzone ankommen ist das Wetter wieder etwas schlechter und kein Sprungbetrieb. Aber 2 Golfcarts düsen über die Wiese. Wir halten und winken und da kommen sie auch schon angefahren. Sie begrüssen uns freundlich und wir erzählen, dass wir Fallschirmspringer aus Deutschland sind und fragen ob wir hier für die Nacht stehen bleiben dürfen. (Ja, ich bezeichne mich immer noch als Springer, auch wenn ich nicht mehr „aktiv“ bin.) Wie es zu erwarten war, sind wir herzlich willkommen und dürfen bleiben.
Wir unterhalten uns noch eine Weile mit Scott (ein echtes Original mit Cowboy-Hut) und Mike, bis der Regen wieder mehr wird.
Doch schon kurz darauf kommt die Sonne abermals raus. Lennox (und Seb‘) gehen auf Platzerkundungstour während ich Nudeln fürs Abendessen aufstelle. Als die Nudeln fast fertig sind, kommt Seb‘ angerannt (ich hab ihn in all den Jahren seeeehr selten rennen sehen) und sagt, dass ich nicht kochen brauch, wir sind zum BBQ bei Mike eingeladen. Uih, noch besser… in meinem Geiste sehe ich schon leckere Spareribs und andere Köstlichkeiten auf meinem imaginären Teller.
Mike und Tara sind die Sprungplatzbesitzer und wohnen in dem schönen Haus oberhalb der Landewiese.
Wir verbringen einen tollen Abend mit einer coolen Truppe. Alle sind nett, interessiert und das Essen und der Wein sind super.
Am nächsten morgen scheint die Sonne, aber Sprungbetrieb steht erst gegen halb 12 an wenn die ersten Tandemgäste eintrudeln. Fun-Jumper verirren sich in letzter Zeit ziemlich wenige an den Platz, erzählt Mike. Bei mehr als 50 kanadischen Dollar (37 €) für eine Sprungticket ist das verständlich. Schade eigentlich, denn der Sprungplatz ist schön familiär, mit riesiger Landewiese, einer Caravan
und einer 182iger Cessna
gut ausgestattet. Aber die aktuellen Spritpreise sind leider auch in Kanada extrem gestiegen. Scott (Tandemmaster, Rigger und Dienstältester) gibt uns ne kleine Führung und erzählt von seiner Historie.
Scott ist ein echtes Sprungplatzkind, sein Vater besaß einen Sprungplatz weiter westlich von Burnaby. Auch seine Mutter war Springerin. Er hat sein ganzes Leben (schätzungsweise 55Jahre +-) auf dem Sprungplatz verbracht und kennt viele der „alten“ Springer-Legenden. Er ist ein feiner Kerl mit Herz und viel zu erzählen! Wir warten den ersten Cessna Tandemload ab, Seb‘ hilft beim „catchen“
während ich mit den nächsten Tandemgästen ins Gespräch komme und eine Busführung gebe. Es ist noch immer nicht viel los, aber es fällt es uns schwer die Biege zu machen, denn Sprungplatz fühlt sich auch immer ein bisschen wie Zuhause an ❤️
Sehr beeindruckend, toll und schönes Bild im Stehen an den Falls
Skydivers are the best 👌